Bernhard Peter
Jainismus: Jinas und Tirthankaras
Keine Götter, aber viele Jinas
Der
Jainismus oder Jain-Dharma ist keine Gründungsreligion, die sich auf einen einzigen Propheten begründet, sondern eine uralte Religion, deren Anhänger mehrere Jinas verehren, spirituelle „Sieger“,
besondere Persönlichkeiten, die mit Allwissen ausgestattet waren und mit deren Hilfe sich die Wahrheit immer wieder einmal offenbart. Jainismus ist eine Religion rein menschlichen Ursprungs. Man
glaubt nicht an einen Schöpfergott oder Hochgott, sondern an eine immerwährende Ordnung der Welt. Die Jains glauben an viele Jinas, allwissende Individuen, die Befreiung von Geburt, Leiden und
Tod erreicht haben. Es sind keine Götter im Sinne eines Schöpfers, eines Erhalters oder eines Zerstörers, sondern es sind Wesen, die das letztendliche Ziel der Befreiung erreicht haben. Ein Jina
ist vorher ein menschliches Wesen, weder unsterblich noch allmächtig, sondern ein Mensch wie Du und ich, der aber alle inneren Feinde wie Verlangen, Haß, Ärger, Zorn, Stolz etc. durch persönliche
Anstrengung überwunden hat, ein Mensch, der durch Perfektion seiner selbst sein Karma abgestreift hat und dadurch allwissend und allmächtig geworden ist. Die Jinas haben also Eigenschaften, die
man ansonsten mit dem Göttlichen assoziiert, aber sie sind keine Götter. Jinas werden verehrt, aber nicht um etwas gebeten. Die Jinas sind jenseits der Welt der Götter. Wörtlich heißt "Jina"
"Eroberer, Sieger, Überwinder". Jinas sind keine übernatürlichen Wesen, sondern Personen aus unserer Mitte, die „es“ geschafft haben. Jeder Mensch hat prinzipiell das Potential, ein Jina zu
werden, aber die wenigsten schaffen es. Das Konzept eines Erlösergottes, der in menschlicher Form das Übel der Welt beseitigt, überhaupt eines Gottes, der in den Lauf des Universums eingreift,
ist den Jainas fremd. Auch braucht es keinen Schöpfergott, denn das Universum und die Seele sind ewig und haben keinen zeitlichen Anfang und kein zeitliches Ende. In diesem Sinne gibt es viele
verehrte Wesen, aber keinen Gott im eigentlichen engeren Sinne als Hauptobjekt der Verehrung.
Kein Gründer, aber 24 Wegbereiter
Die
Jain kennen Tirthankaras, Furtbereiter, das sind Jinas, welche die religiöse Ordnung etabliert haben und jeweils ihrer Zeit angepaßt haben und die die Jain-Philosophie mit neuem Leben gefüllt
haben. Diese Jinas werden Tirthankaras genannt, wörtlich Wegbereiter oder Furtbereiter, weil sie ihren Anhängern den Weg zum Nirvana, d. h. zur Befreiung vom Zyklus von Geburt und Tod, aufgezeigt
und selbst vorgelebt haben. Tirthankara erscheinen als Lehrer der Menschheit, um den Weg zu Moksha aufzuzeigen. Ein Tirthankara wird jedoch nie als Inkarnation eines Gottes angesehen. Er ist auch
kein Avatara. Er wird als ganz gewöhnlicher Mensch geboren und ist nicht von Haus auf jemand Höheres. Den Status eines Tirthankara erwirbt er sich kraft seiner eigenen Bemühungen, durch
unermüdliche Buße, Demut, Meditation und Gleichmut. Ein Tirthankara ist die höchste und reinste erreichbare Stufe der menschlichen Seele und repräsentiert für seine Anhänger das höchste
spirituelle Ziel menschlicher Existenz. Tirthankaras sind weder Götter noch Propheten, sondern normale Menschen, die durch konsequentes Beschreiten des spirituellen Pfades Befreiung von Geburt,
Leiden und Tod erreicht haben. Für die Religion treten sie als Reformer auf, die die Ordnung der Religion den veränderten Umständen anpassen. Die Jain-Philosophie ist ewig, und die spezielle
Auslegung durch einen Tirthankara ist die jeweils zeitgemäße, die auf der seiner Vorgänger basiert. Es handelt sich jeweils um eine Reform einer an sich ewig existierenden
Philosophie.
24 Lehrer der Menschheit bis jetzt
Es
gibt im gegenwärtigen kosmischen Zeitzyklus insgesamt 24 Tirthankaras, auch wenn die historische Beleglage für viele davon dürftig ist. Sie lebten zu den verschiedensten Zeiten. Jeder neue
Tirthankara predigt die selbe grundlegende Jain-Philosophie, gibt aber dem Glauben durch seine Einbindung in Zeit und Umstände ein eigenes kulturelles Gepräge. Ihre Namen sind: 1.) Adinatha, 2.)
Ajita, 3.) Sambhava, 4.) Abhinandana, 5.) Sumati, 6.) Padmaprabha, 7.) Suparshva, 8.) Chandraprabha, 9.) Suvidhi, 10.) Shital, 11.) Shreyansa, 12.)Vasupujya, 13.) Vimala, 14.) Ananta, 15.)
Dharma, 16.) Shanti, 17.) Kunthu, 18.) Ara, 19.) Malli, 20.) Muni Suvrata, 21.) Nami, 22.) Nemi, 23.) Parshva und 24.) Mahavira.
Kann ein Tirthankara auch eine Frau sein?
Hierüber gibt es zwei verschiedene Lehrmeinungen:
Mahavira
Der letzte davon, der
24.Tirthankara, ist auch unter dem Namen Mahavira („großer Held“) bekannt. Er wurde ca. 599 v. Chr. als Vardhamana im indischen Bundesstaat Bihar als Sohn des Königs Siddhartha und seiner Frau
Trishala, beide aus der Kshattriya-Schicht, geboren. Mit 30 Jahren verließ er bald nach dem Tod seiner Eltern sein Haus und wählte den spirituellen Pfad als Sadhana. 12 Jahre verbrachte er als
Mönch in den Wäldern. Schließlich erlangte er Erleuchtung und Allwissen („Kaivalya Jnana“ oder „Kevalnyan“). Mahavira wird von seinen Anhängern nicht als Gründer der Jain-Religion angesehen,
sondern als Verdeutlicher der Lehren der vorherigen Tirthankaras, insbesondere des Parshva, des 23.Tirthankara, der 250 Jahre vor Mahavira lebte. Mahavira predigte 30 Jahre. Im Alter von 72
Jahren erlangte er Nirvana, den Zustand der Glückseligkeit jenseits von Geburt und Tod. Diesen Zeitpunkt, 527 v. Chr., wählten die Jaina als Ausgangspunkt für ihre Zeitrechnung, das Mahavira
Nirvana Samvat. 11 Schüler Mahaviras vermittelten sein Wissen in der Folge anderen Menschen. Sie werden Ganadharas genannt.
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