Ich habe während meiner beträchtlichen Reisen in alle Herren Länder schon viele Gotteshäuser besucht und in ihnen mehr oder minder andächtig verweilt. Den einen sieht man den finanziellen Habitus schon von weiten an, andere hingegen sind schlicht und einfach gehalten. Katholische Kirchen sind meist prunkvoller ausgestattet als die Evangelischen Kirchen.
Ich/wir waren in Lourdes (Frankreich), dem wohl weltweit meist besuchtesten Wallfahrts- ort der römisch-katholischen Kirche besucht. Waren in der Catedral-de la Inmaculada Con- cepción in Cuenca (Ecuador), in der riesi- gen Hagia Sophia in Istanbul, in der St. Pauls Anglican Church in Dawson City, die St. Marys Catholic Church oder in der russisch-orthodoxen Holy Resurrection Cathedral
in/auf Kodiak (Alaska) und vielen anderen Kirchen mehr.
Doch das, was wir in Kutná Hora besichtigen konnten, war echt der Kracher!
Warum diese Präambel, ganz einfach, weil ich in Kutná Hora (Kuttenberg) die wohl abgefahrenste, skurrilste und einzigste Kirche in der Welt besichtigen konnte. Ihr dekoratives Interieur besteht fast ausschließlich aus menschliche Knochen (das gesamte Spektrum des menschlichen Skeletts) das ist die Besonderheit.
Zur Historie der "Aller Heiligen Friedhofs- kirche" mit Beinhaus:
Das Beinhaus in Kutná Hora-Sedleč ist ein ursprüng- lich gotisches, interessantes Bauwerk aus dem Ende des 13. Jahrhunderts.
Es besteht aus zwei, aufeinander gesetzten Kapel- len. Zwischen 1703 und 1710 wurde Kapelle/Kirche von Johann Blasius Santini-Aichl im Barokstil, ihre heute Gestalt umgebaut und auch die künftige Innenausstattung inklusive Gebein- und Knochendekoration entworfen.
Die ursprüngliche Begräbnisstätte wurde von Mön- chen aus Sedletz errichtet um hier, dem heutigen Friedhof, Bestattungen durch zuführen. Sie war zu damaliger Zeit die einzige in der Region und hatte ein Ausmaß von etwa 30.500 m²!
Die Gründung des Friedhofes hängt mit der traditionsgemäßen Reise des Sedletzer Abts Jindrich (Heinrich) im Jahre 1278 zusammen, der mit einer Botschaft von Přemysl Ottokar II nach Jerusalem geschickt wurde. Von dort brachte Abt Heinrich eine Handvoll Erde vom Kalvarienberg (Calvarienberg, Golgatha, Calvaria oder Schädelstätte ist der Ort, wo Jesus gekreuzigt wur- de) mit und verstreute sie hier auf dem Friedhof.
Seitdem erwarb der Friedhof den Ruf der "Heiligen Erde"! Von dieser Zeit an ließen sich viele Menschen aus der Umgebung und sogar aus dem Ausland be- graben, besonders aus Polen, Bayern und Belgien.
Fast alle Knochen, die hier aufbewahrt sind, stammen aus dem Mittelalter. Diese, allsamt systematisch sortiert, wurden vor etwa 350 Jahren von einem fast blinden Zisterzienser-Mönch und stammten von aufgelösten Gräbern des Klosterfriedhofs Sedleč in Kutná Hora im 16. Jahrhundert. Die Knochen rüh- ren aus Zeiten der Pestepidemien um 1318 und den Hussitenkriegen um 1421 und stammen etwa von 40.000 Menschen. In der Umgebung der Stadt, die gut befestigt worden war, kam es zu vielen Metzelein und Schlachten. Die sterblichen Überreste wurden auch auf dem Klosterfriedhofs Sedleč begraben.
Damals war Kuttenberg neben Prag, hier befand sich die Residenz der böh- mischen Könige mit einer Münzstätte.
Im Jahre 1866 kaufte das fränkisch-böhmi- sche Adelsgeschlecht Schwarzenberg von Orlík das Kloster Sedleč nebst Klosterver- mögen samt Kapelle.
Vier Jahre nach dem Kauf des Klosters Sedleč beauftragte die Fürstenfamilie 1870 den angesehenen Holzschnitzer und Schrei- ner František Rint aus Česká Skalice die ein- stigen Pläne von Santini-Aichl zu realisieren. Er schuf mit seiner Familie ein einzigartiges Kunstwerk aus Schädeln und Gebeinen: die sogenannte "Knochenkirche" von Kutná Hora, die im wahrsten Sinne des Wortes ein (Ge)Beinhaus ist.
Anfangs baute er zwei der sechs Pyramiden ab, die der Mönch einst vor über drei Jahr- hunderten aufgetürmt hatte. Von diesen ca. 10.000 Knochen nutzte er den überwiegen- den Teil für die Innenraumgestaltung. Die restlichen vier Pyramiden verblieben zu einer Glockenform aufgeschichtet in den Ecken des Gewölbes stehen. Außerdem behandelte er alle Schädel und Gebeine aufwendig mit Chlorkalk und machte sie dadurch bis heute haltbar.
In der Mitte der Kapellendecke hängt ein Kronleuchter, der fast alle Knochen- arten aufweist, die ein menschliches Skelett besitzt. In den Nischen, links und rechts des neben dem Hauptaltar stehen zwei Monstranzen. An der linken Seite kann man das Familienwappen des Adelsgeschlechts von Schwarzenberg sehen. Überall wohin man schaut entdeckt das Auge Girlanden, Kandelaber, Wandschmuck und Schädel, ein regelrechtes Schädelinferno und die aus Kno- chen drapierte "Inschrift" des genialen Schöpfers František Rint.
An manchen Schädeln, besonders an den Nebenaltaren, sind Gefechtsspuren zu erkennen, die während der Hussitenkriege entstanden (Dreschflegel- und Fausthammereinschläge) sein könnten.
Wenn man etwas genauer das "gruselige Ambiente" in Augenschein nimmt, also das Fotogrfieren (der Auslöser hat hier Hochkonjuktur) mal bleiben lässt und die schummrige, mit Spinnweben durchsetzte Atmosphäre auf sich wirken lässt, die Besucher versucht zu ignorieren, dann glaubt man aus vielen Augenhöhlen der überall um sich herum drapierten Schädel angestarrt zu werden. Irgend wie liegt dann der Gedanke nahe, auch für dich ist die Endlichkeit programmiert, fest programmiert! Ein Schelm wer anders denkt!
Die Einrichtung mit Hilfe der menschlichen ca. 212 Knochen dar zustellen soll uns zur gegenseitigen Harmonie unter lebenden Menschen und auch dazu führen, dass wir das Leben mehr schätzen und uns unserer Verantwortlichkeit bewusst sind.
Wenn die irdische Hülle der Menschen so armselig ist, ist es notwendig, mehr Seelenanstrengung zu entwickeln, so dass ein ehrenvolles Andenken für folgende Generationen bleibt.
(František Palacký 1798 - 1876)