Schon im zarten Alter von neun Jahren machte ich erstmalig bewusst die Bekanntschaft mit Russen. Genauer gesagt mit russischen Soldaten der Sowjetarmee, der GSSD, die einst in Wittenberg (Garnisonsstadt) kaserniert waren. Meines Wis-sens war dort die 6. Garde-Panzerdivision stationiert die schon 1979 abgezogen wurde. Im Hintergrund, unteres Foto, ist ein Teil der ehemaligen Beseler- Kaserne zu sehen.
Drei Jahre lang besuchte ich in den großen Ferien (Sommer-ferien) der mittfünfziger Jahre meinen Onkel und meine Tante, die unweit vom Kasernengelände ihr kleines Anwesen hatten. Meine Aufgabe bestand u.a. da-rin, Futter für deren Haustiere und etwas zu beißen für uns auf zu treiben. Das Loch (bewusst offen gehalten) im Zaun ließ den "Handel" blühen. Gegenleistung vom Onkel waren Schnaps und Zigaretten! Manchmal konnte ich das nicht auf einmal tragen, ich musste zweimal die Tour gehen. Mir ist aus dieser Zeit die uneingeschränkte Freund-lichkeit und der schwermütige Gesang der Soldaten noch sehr erinnerlich. Eine gute, sehr angenehme Zeit, ein schöner Lebensabschnitt für mich!
So richtig blühten dann die Beziehungen mit den Russen (GSSD) zu Beginn der achziger Jahre während meiner Tätigkeit als Chef der Produktion in einer Dresdner Wohnungsbaugenossenschaft auf. Der Grund lag auf der Hand, die immer knapper werdenden Ressourcen in Bezug auf Materialien jeglicher Art trieb uns die "Sowjetarmee" in die Arme, die besaß hier kein Geld.
Die benötigten seiner Zeit in Dresden drin-gend technischen und handwerk-lichen Beistand zur Erneuerung ihrer Kasernen-fassade (vorm. König-Johann- später dann Pio-nier Kaserne ---- jetzt Landesfunk-haus Sachsen MDR), wir brauchten dringen Diesel- Kraftstoff zur Aufrecht-erhaltung der Mobilität des Handwerker Fuhrparks. Wir stellten die Hubtech-nik, das know how und die Malerutensilien zur Verfügung, bezahlt wurde seitens unserer kompromissbereiten und freundlichen russischen Streitkräfte mit üppig vorhandenen 200 Ltr. Fässern Diesel.
Es lebte die einst so angepriesene Deutsch- Sowjetische Freundschaft, denn von Freunden lernen hieß, siegen lernen, versuchte man uns bei zu bringen!
Perfekt - und allen war geholfen! Wir wurden sogar zum großen "Prassnik" in die Garnison eingeladen.
Der Ausbau von Beziehungen zu russischen Wohnungs- bzw. Gebäudewirtschaftsbetrieben, wie später in Leningrad prakti-ziert, war eine reine Zeitfrage. Der Anfang war gemacht!
Ende der achziger Jahr, genauer im September 1987 war es dann soweit, je ein Mitarbeiter eines Fachbereiches inklusive der Direktion flogen ab Flug-hafen Dresden mit dem Flieger nach Leningrad (heute Sankt Petersburg) der nördlichsten Millionenmetropole der Welt. Ich (wir) erlebten dort schon den den Beginn vom Prozess des Gesellschafts-umbaues der Sowjetunion mit "Perestroika" & "Glasnost", welcher uns Deutschen zwei reichliche Jahre später zur Wiedervereinung verhalf! Zu verdanken hatten wir das gewiss auch dem Generalsekretär der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken), Michail Gorbatschow.
So richtig verstehen konnten wir das noch nicht, da bei uns zu diesem Thema noch kein Wörtchen zu hören war. Verrückt war das schon, glauben konnten wir das noch nicht, denn wir lebten bekanntlich im "Tal der Ahnungslosen"!
Wir besichtigten vor allem Betriebsteile und Geschäftsstellen des "Staatli-chen Wohnungsbaubetriebes" der hier um einiges mehr Einfluss hatte als die Gebäudewirtschaft in Dresden. Fassadeninstandsetzung, Energiewirtschaft und Betriebsökonomie waren die Eckpunkte des Arbeitsbesuches.
Der Tagesablauf für uns war allerdings etwas gewöhnungsbedürftig, denn außer zum Frühstück war ab Mittag stets Freund "WODKA" mit von der Par-tie. Nach fünf Tagen Leningrad hatte ich Entzugserscheinungen ob des feh-lenden Alkohols in der Heimat. Unfassbar, was die Russen so für Mengen an Alkohol konsumieren. Uns plagte konstanter Zeitmangel, Beratungen ohne Ende, essen, trinken (saufen) und schlafen - Endlosschleife!
Von der Historie der Stadt, dem "Russisches Versailles", die 1703 von Peter dem Großen auf Sumpfgelände nahe dem Meer gegründet wurde, dem Winterpalast, der Eremitage, der Aurora, der 900 Tage währenden Blockade durch "Hitler Deutschland", der die Millionenmetropole aushungern wollte und vieles andere mehr, bekamen wir nichts mit!
Die Hauptstadt des russischen Kaiserreichs die den wichtigsten russischen Ostsee-Hafen beherbergt, ist seit 1990 (Innenstadt) Weltkulturerbe der UNESCO.
Am 12.06.1991 entschieden sich 54% der Einwohner in einem Referendum für die Wiedereinführung des Stadtnamens St. Petersburg. Am gleichen Tag erkannte die Sowjetunion die Unabhängigkeit der drei Baltischen Republi-ken Estland, Lettland und Litauen an.
Attraktive Stippvisite im alten Flughafen Monino bei Moskau - August 1996
Schon seit einiger Zeit hatten sich Hans und Uwe vorgenommen, ihre lang-jährige russische Freundin Katja zu besuchen, funktioniert hatte das bislang nie. Termine, Kurzurlaub und Arbeit konnten nicht unter einen Hut gebracht werden. Die Redewändung "Was lange wehrt wird gut" traf vollends zu!
Im August 1996 endlich konnte eineTerminüber-einstimmung erreicht wer-den und ich kam kurzer-hand mit. Wir wurden vom Airport Moskau-Wnukowo abgeholt und fuhren in die von Katja organisierte Un-terkunft. Über das gesamte Procedere im Millionen Mo-loch Moskau werde ich an dieser Stelle kein Wort mehr verlieren, über das von ihr geplante Highlight aber schon. Katja wartete mit einer Überraschung der besonderen Art auf. Wir wollten den damals noch nicht für die Öffentlichkeit freigegebenen alten Flugplatz Monino/Luftwaffenstützpunkt (1932 - 1956) aufsuchen. Hier "lagerten" Flugapparate der heroischen sowjetischen Luftwaffe/Luftfahrt. Wir waren perplex und ihr war der Clou echt gelungen.
Der rund 40 km östlich vom Zentrum Moskaus gelegene alte Flughafen, heute - Zentrales Muse-um der Luftstreitkräfte der Russischen Födera-tion, auf russisch "Центральный музей Военно-воздушных сил РФ", war nicht so einfach zu finden. Mit der Metro fuhren wir bis zum Schelkovskay U- Bahn-hof. Noch 20 min. Fuß-marsch, dann waren wir vor Ort, keiner da, alles zu - shit!
Zwei pensionierte, alte Testpiloten, die in der Nähe des verschlossenen Tores herum lungerten, öffneten uns nach kurzer Diskussion das Tor und wir gin-gen in deren Begleitung (Katja dolmetschte gut) ohne auf andere Besucher zu treffen über das Areal und bekamen sachdienliche Erläuterungen zu fast jeder Maschine. Die heute hier dahin schlummernden 173 Fluggeräte und ihr Zubehör, seit 1909 gesammelt, gehören zum weltweit größten Luftfahrt-museum. Für die Hallen hatten die älteren Herren jedoch keine Schlüssel.
Die beiden Pensionäre freuten sich riesig über zwei Flaschen Wodka als Dan-keschön für ihren "unerlaubten" Service!
Das Museum wurde 1958 eröffnet, blieb für den zivilen Besuch jedoch lange gesperrt. Geheime Fluggeräte und experimentelle Kunstruktionen so hieß es, ließen das nicht zu. Immerhin sah man hier u.a. Luftverteidigungs- und Luft-abwehrsysteme die vom Typ her z.T. noch im Dienst waren. Im Jahr 2001 endlich wurde das Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Produkte hochrangi-ger Flugzeug- & Trieb-werkkonstrukteure (und Konstruktionsbüros) so- wie Erfinder der ersten und zweiten Generation, wie Jakowlew OKB, Jur-jew, Tupolew/Markow, Iljuschin/Nowischilow, Antonow, Kamow/Mi-kejew, Mikojan/Gure-witsch-MiG (später Belja-kow), Tischtschenko-MiL, Suchoi/Iwanow konnten wir ebenso bestaunen wie experimentelle Modelle sowjetischer Luftfahrt- und Rüstungsindustrie.
Auf Flugzeugtypen und deren Konstruk-teure habe ich bei den Fotos bewusst verzichtet. Das verlinkte Foto nebenan verweißt auf eine Website, auf welcher viele Flugapparate, die im Air Force Mu-seum stehen, verzeichnet sind.
Die gescannten Farbfotografien aus 1996 sind auch die Erbauung, doch das Gesamterlebnis aus dieser Zeit war es mir wert, an dieser Stelle zu zeigen.
Meine wohl intensivsten Erlebnisse und Erfahrungen mit und beim "Großen Bruder", wie einst die mächtigen Parteigenossen die Sowjetunion im DDR- Sprachgebrauch bezeichneten, sammelte ich im Juni + Juli des Jahres 1997.
Ich war in diesem Zeitraum Bauleiter auf einer Baustelle im westsibierischen Raduschny (Радужный) am Fluss Agan, autonomer Bezirk/Region Tjumen, in Westsibirien. Dieser Auftrag resultierte noch aus meiner Tätigkeit als GF eines Dresdner Spezialbau Unternehmens. Im Auftrag der nicht mehr existierenden LURGI Anlagenbau Chemnitz GmbH (jetzt CAC), welches zu Zeiten vor der Wiedervereinigung als VEB Germania Karl-Marx-Stadt für die sowjetische Erdöl- u. Erdgasindustrie Anlagen und Behälter produzierte, sollten diese vor Ort neu beschichtet bzw. saniert werden. Auf Grundlage einer neuen elastischen 2K Airless Spezialbeschichtung wurde dieser, aben-teuerlich anmutende, Auftrag unter erschwerten Bedingungen realisiert!
Die logistischen Vorbereitungen, wie die Bereitstellung der Arbeits-mittel, Material und technisches Ge-rät für den Transport und die Ver-stauung, gestaltete sich schwierig und umfangreich. Nach Monaten der Vorbereitung war es dann end-lich soweit, am 29.06.1997 flogen sechs Leute und der Dolmetscher von Dresden über Moskau in das rund 4.000 Flugkilometer entfernte Raduzhnyi. Die Schreibweise des Ortsnames existiert hier in drei Varianten. Und, man konnte es garnicht fassen, die Stadt hatte einen eigenen Airport.
Nach über 11 Stunden Flug waren wir am Ziel und wurden mit dem bereit gestellten Bus vom Produk-tionsleiter abgeholt und in das von den Amerikanern (u.a. VMI New Orleans) errichtete Camp innerhalb des Ölfeldes/Geländes gefahren. Hier schliefen und lebten wir für die Montagedauer. Die kabinenartigen Zimmer waren in Ordnung. Die Sanitäreinrich-tungen im Camp waren gut, das Wasser hingegen ganz schlecht. Das bekamen wir vor allem beim Duschen zu spüren. Es stank nach Öl und man wurde regelrecht "eingefettet", eine eklige Angelegenheit. Trinken konnten wir das nicht!
Das gewöhnungsbedürftige Mittagessen der Betriebskantine bestand in der Regel aus fettem Schweinefleisch, Kartoffeln, Kohl und Einheitssoße, nichts für Mitteleuropäer und für mich!
Wir sind also im Joint Venture Camp von Varyegan (benannt nach einem ehem. Dorf ganz in der Nähe) von Neftegas angekommen und harren der Dinge, die uns der russische Zoll in den Folgetagen kredenzt, nämlich be-hördliche Schikane! Lange Weile und Wut im Bauch machten sich breit!
Nach der Platzierung unsere Container konnten Sanierungsarbeiten der acht Tankbehälter beginnen. Das Strahlgut (Stahlkies) wurde vom AG gestellt, die Strahlarbeiten zur Innenflächensäuberung der Behälter ging zügig voran. Stromanschlüsse wurden durch unisoliertes Drahtverrödeln hergestellt (un-glaublich für uns, hier alltäglich)! Benzin für den Kompressor gabe es täglich aus dem Tank des Firmen LKW´s und das auf offener Straße.
Die Baustellenbedingungen waren allesamt sehr gewöhnungsbedürftig. Wir staunten eigentlich darüber, das der Betriebsablauf im Varyeganneftegaz Ölfeld trotzdem funktionierte. Die russische Begleitmanschft hingegen, die ganz mieß auf Boris Jelzin zu sprechen war wegen ausgebliebener Lohnzah-lungen, war sehr hilfsbereit, wenn sie denn vor Ort war!
Was evtl. fehlte oder jegliche Dienstleistungen der russischen Mannschaft, die uns zur Seite stand, wurde mit gutem Wodka bezahlt (dafür gab es ein extra Bud-get im Passus Baustelleneinrichtung).
Auch der Umstand, dass uns ein Fass der zweiten Kom-ponente der PU- Beschichtung fehlte und im 170 km entfernten Nowoagansk beschafft werden musste, ko-stete uns nur 4 Pullen Wodka der Sorte "Stolichnaya" (10,00 DM damals)! Dies besorgten wir uns schon zu-vor im Magazin in Raduzhny, denn wir wollten von vorn herein "zahlungsfähig" sein. Wenn die uns zuge-teilten Russen früh irgend wann erschienen, trugen diese fast täglich eine Fahne vor sich her, wenn man versteht was ich damit meine! Der Fusel übrigens den Iwan "Normalrusse" hier zu kaufen bekam, war gepanscht, so versicherte man uns. Eine Trinkprobe bestätigte dies, für unsere Leber ungeeignet.
Fazit: Es lief alles Bestens, denn wir besaßen das richtige Zahlungsmittel!
Wir waren ja auch einige mal in der 1973 zu Zeiten des Erdölbooms gegrün-deten und seit 1985 das Stadtrecht erhalte Raduschny (Радужный) zu auf deutsch Regenbogen, vor allem in der Zeit der miserablen Zollabwicklung. Der Busfahrer, unser Bauleiter und andere Befragte erklärten uns, sie kamen von weit her, denn hier erhielt man Wohnraum und ordentlichen Lohn. Die Trostlosigkeit dieser Gegend war erst einmal zweitrangig. Die auch schon 1997 hier wohnenden ca. 43.000 Menschen hatten Arbeit und Lohn, die In-frastruktur war Null. Ich verglich das mit dem einstigen Halle-Neustadt zu Zeiten des Chemiebooms in der DDR. Doch hier im westsibierischen Tiefland, wo zur warmen Jahreszeit die Mücken die Oberhand besitzen, ist weit und breit nichts außer sumpfiges Land und die nächste Stadt über 160 km weit.
Auf meiner Fahrt nach Novoagansk passierte wir auch zwei Check-points auf der einzi-gen Straße dort hin, denn ohne "Genehmi-gung" ist eine unge-hinderte Reise in das weite Russland nicht möglich, ist kaum zu glauben aber wahr!
Die Stadt, kurz gesagt, wirkte trostlos auf uns und die im Hauruck-verfahren hochgezo-genen Plattenbauten, schrecklich, speziell was die Verarbeitung und die Akkuratesse anbelangte. Gewiss, nach 18 Jah-ren hat sich so einiges verändert, es ist farbiger geworden in der Stadt und die 1997 vor sich hin tümpelnde kolossartige, chinesische Investruine am Denkmal "Neftyanik" (Ölindustriearbeiter) im Regenbogen Zentrum nennt sich, nun endlich fertig gestellt, Hotel Agangrad (АганГрад).
Hier, in dieser Stadt, in dieser Region zu leben und arbeiten würde ich nicht für Gut und Geld. Der umweltzerstörende Einfluss der Erdöl- und Erdgas-industie, inkl. des Verlustes natürlicher Lebensräume sind ausschlaggebend!
Im Rahmen der Erkundung und Erschließung der westsibirischen Erdöl- und Erdgaslagerstätten entstanden ab 1966 und folgenden Jahren an Stelle des Dorfes Warjogan u.a., ungeachtet der verheerenden Umweltzerstörungen und massiven Kulturverluste der indigenen Völker, Stützpunkte der geo-logischen Agan-Erdölerkundungsexpedition.
Alsbald bildeten sich Wohnsiedlungen wie Raduschny, Nischnewartowsk und
Nowoagansk heraus. Ab 1973 wurde ihnen der Status einer Siedlung städti-schen Typs verliehen, deren Namen sich an den natürlichen Gegebenheiten
und Erscheinungen orientierte. Die sumpfige Landschaft, das natürliche Ein-zugsgebiet der indigenen Völker Sibiriens wie die Taiga und Waldtundra als globale arktische Vegetationszonen, hier der Chanten und Waldnenzen fiel aber bereits den Stalinschen Repressionen und erst später dem Ölboom zum Opfer. Natürliche Lebensräume, die Schritt für Schritt vom Menschen selbst zu Nichte gemacht werden. Wie lange wird das noch gut gehen?
Der produktive Ausflug ins sibirische Tiefland war ein erfahrungsreiches und nachhaltiges Erlebnis